Publikation

„... Grünlandnutzung nicht vor dem 15. Juni ...“

AutorIn

Reiter K et al.

Veröffentlichung
2004
Quelle
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Beschreibung

Ursprünglich wurde das "Verbot" der Grünlandbewirtschaftung vor dem 15. Juni zum Schutz der Gelege von Wiesenbrütern (Brachvogel, Bekassine, Kiebitz, Uferschnepfe) eingeführt, die durch Mahd- oder Beweidungsaktivitäten nicht zerstört werden sollen. Aufgrund ihrer leichten Überprüfbarkeit durch Landwirtschafts- und Naturschutzverwaltungen gelten diese Reglementierungen jedoch längst nicht nur für die Lebensräume von Wiesenbrütern. So finden sich in den meisten Verordnungen für Grünland-Schutzgebiete und in Verträgen für Flächenprämien Auflagen "Grünlandnutzung nicht vor dem 15. Juni " - egal ob gemäht oder beweidet, die Flächen in Flußauen oder in Mittelgebirgen liegen oder wie der Witterungsverlauf im jeweiligen Jahr ist. Da aus nahezu allen Bundesländern Klagen sowohl von Naturschützern als auch von Nutzern über Probleme mit zu starren Terminvorgaben zu vernehmen sind, soll die zweitägige Fachtagung den aktuellen Wissensstand zusammenfassen und aus unterschiedlichen Richtungen beleuchten. Ziel der Veranstaltung soll es sein, den Einfluss unterschiedlicher Nutzungstermine auf Flora und Fauna naturschutzfachlich zu betrachten, aber auch sozioökonomische Aspekte nicht außer Acht zu lassen. Damit sollen neue Möglichkeiten der Regelung gesucht werden.

Die Möglichkeit der Ertragssteigerung in der Grünland-Bewirtschaftung durch massiven Düngereinsatz führte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu nahezu flächendeckenden Veränderungen der landwirtschaftlichen Praxis. Bedingte früher die unterschiedliche natürliche Wüchsigkeit des Bodens entsprechend differenzierte Nutzungsformen, können Flächen inzwischen weitgehend unabhängig von den natürlichen Ressourcen – mit Ausnahme des Faktors Wasser – bewirtschaftet werden. Die Auswirkungen der daraus resultierenden vereinheitlichenden Nutzungsformen auf die Tier- und Pflanzenwelt sind, analog (und synergetisch) zu den gleichzeitig stattfindenden Veränderungen innerhalb der Agrozönosen, fundamental. Standortmeliorierung wie etwa Drainage und Düngung, Vergrößerung von Betriebs- und Flächeneinheiten sowie die zunehmende Schnitthäufigkeit förderten die Ausbreitung einheitlicher und vergleichsweise artenarmer Vielschnittwiesen, während "Grenzertragsgrünland", wie beispielsweise Nasswiesen oder Halbtrockenrasen, aufgrund von Intensivierung oder Verbrachung zurückgingen. Gleiches gilt für die ehemals das Landschaftsbild beherrschenden meist zweischürigen Frisch- und Feuchtwiesen. Vor allem die anspruchsvolleren Tier- und Pflanzenarten vieler an traditionelle Nutzungsformen angepasste Lebensgemeinschaften wurden in der Folge sehr selten oder verschwanden gar völlig.

Nachdem man das Problem Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts erkannt hatte, wurde versucht, der Entwicklung Einhalt zu gebieten: zum einen durch Ausweisung von „Grünland-Schutzgebieten“, zum anderen durch die Zahlung von "Extensivierungs-Prämien" an Landwirte. Zentraler Bestandteil der meisten Schutzgebietsverordnungen und Extensivierungsverträge war und ist seither die Klausel „Grünlandnutzung nicht vor dem 15. Juni“. Dadurch sollten gleichzeitig die Pflanzengesellschaften der traditionellen Heuwiesen und die Gelege von Wiesenbrütern (Brachvogel, Bekassine, Braunkehlchen, Kiebitz, Uferschnepfe) geschützt werden. Aufgrund der leichten Handhabbarkeit dieser Vorgabe für die Landwirtschafts- und Naturschutzverwaltungen fanden die Fixtermine sehr bald allgemeine Verbreitung. Sie ermöglichten die Erteilung klar definierter Nutzungsauflagen genauso wie eine einfache anschließende Überprüfung ihrer Einhaltung. Der flächenspezifische Einfluss von Standortfaktoren fand dabei zunächst keine Berücksichtigung; Au- und Bergwiesen, Flächen ohne Wiesenbrüter und Weideflächen unterlagen diesem „Standardtermin“ gleichermaßen.

Erst in den 1990er Jahren begannen einzelne Länder, ihre Förderkriterien zur Grünlandnutzung nach naturschutzfachlichen Vorgaben zu differenzieren. Der "15. Juni" spielt aber bis heute eine zentrale Rolle in den meisten Programmen.

Aktuell verdeutlichen die globalen Klimaveränderungen, agrarstrukturelle Probleme, Anforderungen von EU-Programmen usw. die dringende Notwendigkeit, eine rationale und flexible Regelung zu schaffen, die die aus Sicht des Naturschutzes längst überholte Vorgabe "Grünlandnutzung nicht vor dem 15. Juni" endlich ersetzen sollte.